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11 November 2017

Rohkost auf dem Prüfstand

Rohes Obst und Gemüse sind gesund und lecker: Jeder liebt einen knackigen Salat als Beilage oder einen leckeren Obstbecher als erfrischende Zwischenmahlzeit im Sommer. Eine stark wachsende Anzahl an Gesundheitsbewussten ernährt sich bereits ausschließlich von rohen Lebensmitteln und verspricht sich davon Gesundheit, Wohlbefinden und mehr Energie. Doch hält diese Ernährungsform tatsächlich, was sie verspricht? Wir haben nachgeforscht:

Definition und Abgrenzung:
Die Verfechter der Rohkost ernähren sich ausschließlich von Lebensmitteln, die nicht über 40°C erhitzt wurden, da ab dieser Temperatur Proteine denaturieren, das heißt ihre Struktur verändern und Enzyme inaktiviert werden. Die einzige erlaubte Zubereitungsform ist das Trocknen oder Dörren, bei der sich zwar die sensorischen Eigenschaften der Speisen verändern, nicht jedoch deren Inhaltsstoffe. Der Großteil der Rohköstler ernährt sich vegan, das heißt ohne jegliche Tierprodukte.
Vereinzelt gibt es allerdings auch Mischköstler unter den Rohessern, die Eier, Honig und Rohmilchprodukte sowie teilweise rohes Fleisch in ihren Speiseplan einbauen. Dieser Ansatz wird aber tendenziell eher als Paleo oder Steinzeitdiät bezeichnet wird, die Abgrenzung dieser beiden Ernährungsformen ist jedoch nicht klar definiert. Ich werde dennoch versuchen die Vor- und Nachteile einer veganen Ernährung gegenüber der Mischkost auszuklammern und nur die Rohkost an sich zu betrachten.


Kochen zerstört Vitamine:
Obwohl die Behauptung, dass rohes Gemüse die meisten Vitamine enthält und ein exzessives Erhitzen Nährstoffe zerstört, zwar nicht falsch ist, wird bei dieser Argumentation ein wichtiger Punkt vergessen: Die Bioverfügbarkeit. Diese gibt an, welcher Prozentsatz eines Nährstoffes tatsächlich im Körper ankommt. Es stimmt zwar, dass beispielsweise Vitamin C oder bestimmte B Vitamine während des Kochens abgebaut werden, doch sind diese so reichlich in einer Vielzahl an Lebensmittel enthalten, dass trotzdem noch ausreichend aufgenommen wird. Zahlreiche Ernährungsstudien zeigen, dass hier auch die Kochköstler, so bezeichnen übrigens die Rohköstler alle Nicht-Rohköstler, so gut wie nie unter einem Mangel leiden. Die meisten fettlöslichen Vitamine (A, D, E etc.) sowie Mineralien und Spurenelemente sind kaum bis gar nicht hitzeempfindlich.
Durch die teilweise Zerstörung der Zellwände während des Kochens hingegen erhöht sich die Verfügbarkeit vieler Vitamine und sekundärer Pflanzenstoffe, wie beispielsweise Lycopin aus Tomaten oder Beta-Carotin aus Karotten, denen gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben wird.

Kochen zerstört Enzyme:
Diese Aussage ist absolut korrekt, bei 100°C werden die allermeisten Enzyme zerstört. Wisst ihr, was diese Enzyme ebenfalls zerstört: Die Magensäure. Es ist also komplett irrelevant, ob die Enzyme schon beim Kochen oder erst im Magen inaktiviert werden, ihre Funktion verlieren sie trotzdem. Apropos Funktion, was tun dieses denn eigentlich? Zur Erinnerung: Enzyme sind Stoffe, die eine chemische Reaktion starten oder beschleunigen. Wenn wir zum Beispiel einen Apfel schneiden, werden Enzyme aus bestimmten Zellbereichen frei, die wiederum andere Inhaltsstoffe abbauen und somit die braune Farbe verursachen.
Anhänger der Rohkost behaupten, dass wenn man zum Beispiel eine rohe Karotte isst, diese bereits Enzyme mitliefert, die die Verdauung erleichtern. Werden diese durchs Kochen zerstört kann die enzymatische Verdauung nicht richtig ablaufen und es kommt zur Fäulnisverdauung durch die Magensäure. Die Erklärung was dies allerdings genau sein soll, warum diese vermieden werden muss oder gar wissenschaftliche Beweise für diese Theorie bleiben uns die Essensesoteriker allerdings leider schuldig. Wir konnten bei der Recherche für diesen Artikel keinerlei nähere Informationen zu dieser Behauptung finden.

Verdaulichkeit:
Da wir gerade über Verdauung sprechen: Die Aussage, Rohkost sei bekömmlicher als Gekochtes ist schlichtweg falsch. Bereits in der dunkelsten Vorzeit entdecken die Menschen, dass Erhitzen Lebensmittel wesentlich bekömmlicher macht. Bei diesem Prozess werden nämlich Nahrungsbestandteile wie Eiweiß und Kohlenhydrate denaturiert und aufgeschlossen, sodass eine vollständigere Verdauung ermöglicht wird. Große Mengen von rohem Gemüse hingegen sind aufgrund der Zelluloseverbindungen in den pflanzlichen Zellen sehr schwer verdaulich. Die Bakterien im Darm hingegen freuen sich über das nicht verwertete Pflanzenmaterial und beginnen es abzubauen. Dieser Gärprozess kann Völlegefühl, Unwohlsein und Blähungen auslösen.

Erhitzen erzeugt Gifte
Rohköstler warnen immer wieder vor verschiedenen Giftstoffen, die während der Erhitzung von Lebensmitteln entstehen können. Dies ist zum Teil auch richtig, vor allem beim Braten und Frittieren entstehen nicht nur die heiß geliebten Röstaromen sondern auch potentiell schädliche Stoffe wie zum Beispiel Acrylamid, heterocyclische aromatische Amine, Advanced Glycation End Products oder diverse Fettschadstoffe. Diese Speise sollten daher tatsächlich eher sparsam konsumiert werden. Schonende Verfahren wie Kochen, Blanchieren oder Dünsten hingegen produziert kaum Giftstoffe aber zerstört dagegen wirksam die meisten antinutritiven Inhaltsstoffe, welche die optimale Verwertung von Nährstoffen behindern. Hierzu zählen beispielsweise Saponine aus Hülsenfrüchten die, wenn sie zum Beispiel durch eine geschädigte Darmwand, in die Blutbahn gelangen, hämolytisch wirken, das heißt rote Blutkörperchen zerstören. Einige Rohköstler empfehlen rohe Bohnen und Linsen vor dem Verzehr keimen zu lassen, damit die schädlichen Inhaltstoffe abgebaut werden. Tatsächlich werden diese Giftstoffe bei der Keimung aber nicht vollständig zerstört und eine leichte Vergiftung ist bei reichlichem Verzehr durchaus möglich. Weitere Antinutritiva sind zum Beispiel Avidin aus rohen Eiern, das Vitamin B7 binden kann und Thiaminasen aus rohem Fisch, die Vitamin B1 zerstören.
Außerdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass das Erhitzen von Nahrungsmitteln eine der wirkungsvollsten Methoden zur Vorbeugung von Lebensmittelvergiftungen ist, da potentielle Krankheitserreger wie Listerien und Salmonellen sowie Fäkalbakterien, Hepatitis und Noroviren beim Durchgaren abgetötet oder inaktiviert werden. Auch Parasiten wie bestimmte Einzeller oder diverse Bandwurmarten werden durch Hitze zuverlässig vernichtet.

Rohkost entgiftet
An vielerlei Stelle wird behauptet, Rohkost sei besonders geeignet um den Körper zu entgiften und Schwermetalle auszuleiten. Für diese Behauptung gibt es allerdings keinerlei Beweise. Wir haben bereits in einem früheren Artikel ausführlich dargelegt, warum Entgiftung nicht so einfach ist, wie man es in verschiedenen Wellness Blogs liest.

Rohkost ist ausgewogen
Obwohl in der Rohkost verschiedenste Obst- und Gemüsesorten konsumiert werden, ist diese Form der Ernährung doch sehr einseitig. Die Tatsache, dass grünes Gemüse sowie Pilze pro 100kcal mehr Eiweiß liefern als etwa Fleisch oder Milchprodukte mag zwar tatsächlich stimmen, doch hat diese Aussage wenig praktischen Nutzen. Denn der Energiegehalt dieser Gemüsesorten ist insgesamt so niedrig, dass man täglich 2 Kilo Brokkoli essen müsste, um die Mindestbedarf an Eiweiß zu decken, für eine optimale Versorgung wären es sogar 4 Kilogramm jeden Tag! Neben Grünzeug stellen Nüsse und Samen die einzig andere nennenswerte Proteinquelle für Rohköstler dar. Diese sind allerdings oft mit Schadstoffen wie Schimmelpilzgiften belastet, dass ein exzessiver Konsum eventuell gesundheitliche Folgen nach sich zieht.
Ein Großteil der zugeführten Energie besteht aus Kohlenhydraten in Form von Fruchtzucker. Dieser wird auch von Karies heiß geliebt, in Kombination mit den Fruchtsäuren aus dem zuvor verspeisten Obst stellt dies optimale Bedingungen für einen rapiden Zahnverfall dar. Die (vegane) Rohkost ist zwar ausgesprochen ballaststoffreich, dennoch gibt es Hinweise, dass Faserstoffe aus Vollkorngetreide wie etwa die Beta-Glucane, den Ballaststoffen aus Obst und Gemüse in ihrer gesundheitsfördernden Wirkung überlegen sind.

Rohe Energie:
Die Behauptung, rohe Speien enthalten Lebensenergie, auch Chi oder Prana genannt, die durch das Erhitzen entweicht oder zerstört wird, entziehen sich leider jeglichen wissenschaftlichen Gesichtspunkten und kann somit getrost ins Reich des Aberglaubens verbannt werden. Das skurrile Highlight unserer Recherche zu diesem Thema war die Erkenntnis, dass ein rohes Stückchen eines toten Tieres mehr Prana enthält als eine gekochte Kartoffel.

Gießener Rohkoststudie
Abschließen möchte ich noch die Gießener Rohkoststudie, die von 1996 bis 1998 in Deutschland durchgeführt wurde, vorstellen: Die Blutwerte von 700 Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren, die sich zumindest 70% rohköstlich ernährten, wurde über diesen Zeitraum bestimmt und statistisch ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Studie waren erschütternd: 57% der Teilnehmer hatten Untergewicht, der durchschnittliche Gewichtsverlust in dieser Zeit betrug bei den Probanden 10 bis 12kg. Die Teilnehmer litten am Ende der Studie durch die Bank an einem Mangel an den Vitaminen D und B12, sowie Calcium, Magnesium, Zink, Iod und Eisen. 43% der Männer sowie 15% der Frauen litten weiters unter Anämie, bei jeder dritten Probandin blieb die Regelblutung aus.

Fazit:
So langweilig es auch klingt, die beste Ernährungsform ist und bleibt die gute alte abwechslungsreiche Mischkost mit reichlich Obst und Gemüse (gern auch gekocht), Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten als Basis sowie möglichst mageres tierisches Protein in Maßen. Das Zubereiten von Speisen zerstört kaum Nährstoffe, sondern fördert sogar deren Aufnahme in den Körper. Als der frühe Mensch begann, das Feuer zu nutzen um seine Nahrung sicherer und bekömmlicher zu machen, war dies in den Augen vieler Evolutionsbiologen ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Tierarten, der letztendlich den Siegeszug der menschlichen Rasse einläutete.
JEDE Ernährungsform, die die Lebensmittelauswahl zu sehr einschränkt, geht mit einem erhöhten Risiko für einen Nährstoffmangel einher. Es spricht nichts dagegen, pflanzliche Lebensmittel roh zu essen, wenn eine gute Küchenhygiene eingehalten wird. Besondere Vorsicht ist allerdings bei tropischen Früchten geboten, die oft stark mit Viren und Parasiten befallen sind. Diese sollte niemals roh oder ungeschält verzehrt werden. Ebenso sollte Tiefkühlgemüse nicht roh verzehrt werden, da es hier immer wieder zu Kontaminationen mit pathogenen Keimen wie Listerien kommen kann. Zuckerarmes, grobfasriges Gemüse zu kaufen wirkt sich positiv auf Zähne und Kiefer aus, trotzdem gibt es keinen Grund auf gegarte Speisen oder Brot zu verzichten, Frittiertes und scharf Angebratenes sollte allerdings möglichst sparsam verzehrt werden.

Die Rohkost ist also  für eine dauerhafte, ausgewogene Ernährung absolut ungeeignet!


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Quellen und weiterführende Links:
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J. Courraud, J. Berger, J. P. Cristol, S. Avallone: Stability and bioaccessibility of different forms of carotenoids and vitamin A during in vitro digestion. In: Food chemistry. Band 136, Nummer 2, Januar 2013, S. 871–877, ISSN 0308-8146. doi:10.1016/j.foodchem.2012.08.076. PMID 23122139.
Vickie Vaclavik, Elizabeth W. Christian: Essentials of Food Science. Springer 2003. ISBN 9780306473630. S. 348ff.
Claudia Müller, Petra Michel, Ute Brehme, Thamar Triebel: 25.2 Rohkost Ernährung – Ernährungsphysiologische Bewertung In: Ernährung in Prävention und Therapie: Ein Lehrbuch., Georg Thieme Verlag 2009; S. 260 – 263. ISBN 9783830453253.
Claus Leitzmann, Markus Keller, Andreas Hahn: Alternative Ernährungsformen. Georg Thieme Verlag, 2005. ISBN 9783830453246.
C. Koebnick, A. L. Garcia, P. C. Dagnelie, C. Strassner, J. Lindemans, N. Katz, C. Leitzmann, I. Hoffmann: Long-term consumption of a raw food diet is associated with favorable serum LDL cholesterol and triglycerides but also with elevated plasma homocysteine and low serum HDL cholesterol in humans. In: J Nutr. (2005), Band 135, Nr. 10, S. 2372-2378. PMID 16177198.
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