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14 Oktober 2017

Der Mythos von der Übersäuerung

Heute wollen wird dem weit verbreiteten Mythos der Übersäuerung auf die Spur gehen. Viele selbst ernannte Experten wollen uns weismachen, dass zahlreiche körperliche Probleme wie Müdigkeit, ein geschwächtes Immunsystem oder Verdauungsstörungen auf einen gestörten Säure-Basen-Haushalt des Körpers zurückzuführen sind. Einige dieser vermeintlichen Wunderheiler behaupten sogar, Krebs sei durch eine streng basische Ernährung heilbar. Warum diese Theorie aber wissenschaftlich nicht haltbar ist, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Die Theorie
Die Theorie besagt, dass unsere westliche Ernährung, die sich vor allem durch ein Übermaß an Zucker, Weißmehl und gesättigten Fetten auszeichnet, den Körper übersäuert. Dieses Ungleichgewicht soll Antriebslosigkeit, Infektionsanfälligkeit und sogar Krebs begünstigen. Die einzige Möglichkeit dieser Übersäuerung vorzubeugen, sei ein strikter Verzicht auf alle säurebildenden Lebensmittel und die zusätzliche Einnahme spezieller Basenpulver oder alkalisiertem Mineralwasser. Die auf diese Weise zugeführten Basen sollen vom Organismus aufgenommen werden und das ph-Gleichgewicht ins Alkalische verschieben.
Tatsächlich ist es so, dass bestimmte Lebensmittel, allem voran tierisches Protein wie Fleisch, Milch oder Eier dem Körper zusätzlich sauer geladene Teilchen (der Chemiker sagt dazu Valenzen) zuführen, die der Organismus über einen ausgeklügelten Ausgleichsmechanismus wieder neutralisiert. Mineralstoffe, hauptsächlich aus Obst und Gemüse dienen als Neutralisation für diese sauren Ladungen. Organische Säuren wie die Milchsäure oder Fruchtsäuren fallen in dieser Rechnung nichts ins Gewicht, da diese vom Körper ähnlich wie Kohlenhydrate abgebaut werden und dann als Kohlendioxid ausgeatmet werden können. Kann dieser Mechanismus aber Versagen? Und wenn ja, wie merke ich das?

Selbstdiagnose
In verschiedenen Internetapotheken aber auch im Baumarkt kann man Indikatorstreifen kaufen, mit denen sich der pH-Wert einer Flüssigkeit messen lässt. Diese Plastikstäbchen sind mit Watte umhüllt die mit verschiedenen Chemikalien getränkt ist, sodass sie sich je nach Konzentration der Säure unterschiedlich färben. Anhand einer Schablone kann man den pH-Wert ablesen.
Nun soll man den pH-Wert seines Urins mit diesen Streifen messen um herauszufinden ob man „übersäuert“ ist. Hier liegt allerdings bereits die erste Schwäche diese Konzepts begraben: Der Urin dient nämlich neben der Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten zur Regulierung des Säure-Basen-Haushalts unseres Körpers und ist daher immer leicht sauer. Daraus zu schließen man sei übersäuert ist in etwas so als würde man denken sein Auto wäre überhitzt, nur weil der Kühler warm geworden ist.


Indikatorstreifen zur Ermittlung des pH-Werts

Magen
Wenn wir den Begriff Übersäuerung hören, denken wir zuerst an unseren Magen. Stress, eine unausgewogene Ernährung sowie der Konsum von Alkohol und Nikotin können ein äußerst unangenehmes Sodbrennen hervorrufen, daher wirkt das Argument, man sei übersäuert durchaus glaubhaft. Dies ist aber nicht der Fall: Sodbrennen, auch Reflux genannt, entsteht wenn im Magen zu viel Magensäure produziert wird, dies hat aber nichts mit einer Übersäuerung des ganzen Körpers zu tun. Der Magen stellt diese Säuren die zur Verdauung unserer Nahrung dienen selbst her, ist die Regulation dieser Prozesse gestört wird zu viel Magensaft produziert, der dann bis in die unteren Teile der Speiseröhre zurückdringt und dort das schmerzende Brennen verursacht.
Kaffee ist als der Säurebildner schlechthin verschrien: Die Aromen die während der Röstung der Kaffeebohnen entstehen können bei sensiblen Personen den Magen reizen und die Magensaftproduktion ankurbeln. In Wirklichkeit ist Kaffee aber ein Lebensmittel, das dem Körper basenbildende Substanzen in Form von verschiedenen Mineralstoffen zuführt. Wir sehen also, dass die Säure-Basen-Theorie jetzt schon erste Schwächen aufweist. Gehen aber trotzdem noch einen Schritt weiter:

Azidose
Viele Regionen unseres Körpers haben unterschiedliche pH-Werte: Unsere Haut ist zum Beispiel leicht sauer, um uns vor Bakterien aus der Umwelt zu schützen, gleiches gilt für die weibliche Vaginalschleimhaut, die Sekrete der Bauchspeicheldrüse sind basisch um die Säure des Magens während der Verdauung zu neutralisieren. Diese unterschiedlichen pH-Werte werden direkt vor Ort in den jeweiligen Organen reguliert, das Blut dient als Puffer, der die überschüssigen Ladungen auffängt. Tatsächlich gibt es ein in der Medizin bekanntes Krankheitsbild der Übersäuerung, auch Azidose genannt, bei dem der lebenswichtige Bikarbonat Puffer des Blutes aus dem Gleichgewicht gerät. Ab einem pH-Wert von unter 7,35 spricht man von einer Übersäuerung, oder Azidose. Diese ernst zu nehmende Komplikation hat aber nichts mit der Ernährung zu tun sondern entsteht in Folge von Kohlendioxidanreicherung im Blut oder durch Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes oder Niereninsuffizienz. Die Azidose ist unter anderem mit einem drastischen Absinken des Blutdruckes verbunden, außerdem versucht der Körper mit extrem tiefen Atemzügen die Säure über die Lunge auszuscheiden. Man braucht also keine Teststreifen oder Wunderheiler um zu merken, dass etwas nicht stimmt. Die Azidose ist ein schwerwiegendes Krankheitsbild und führt ohne Behandlung binnen kürzester Zeit  zum Tode des Patienten.


Warburg-Effekt und Krebs
Die Verfechter der Säure-Basen Theorie stützen sich unter anderem auf die Entdeckung des deutschen Biochemikers Otto Warburg, dass Krebszellen große Mengen an Säure während ihres Wachstums produzieren und dieses saure Umfeld wiederum das Tumorwachstum beschleunige. Obwohl der so genannte Warburg-Effekt bis heute nicht widerlegt werden konnte, erklärt diese Theorie aber noch lange nicht, wie eine basische Ernährung das Tumorwachstum hemmen soll. Diese Behauptung zeigt, wie wenig Ahnung diese selbst ernannten Wunderheiler von den grundlegenden Funktionsweisen des menschlichen Körpers haben. Denn selbst wenn diese Annahme wirklich stimmt, bleibt man uns die Erklärung wie die basischen Ladungen in die Krebszellen gelangen sollen schuldig. Das Blut ist eines der wichtigsten Puffersysteme des Körpers, das den Säure-Basen-Haushalt in einem exakten Gleichgewicht hält. Selbst wenn man also tatsächlich so viele basische Lebensmittel zu sich nehmen könnte, dass sich der pH-Wert des Blutes merklich ändern würde, würde man binnen kürzester Zeit an massiven negativen Reaktionen wie zum Beispiel Krämpfen oder Spasmen leiden. Ein Blut pH-Wert von über 7,7 wäre wie der Mediziner so schön sagt mit dem Leben nicht vereinbar. Die Behauptung, man könne Krebs mit Speisesoda oder ähnlichem heilen, kann man also getrost ins Reich der Scharlatanerie verbannen.

Fazit
Niemand wird bestreiten, dass eine Ernährung die reichlich Zucker, Weißmehl und gesättigten Fette enthält, nicht sehr vorteilhaft ist und Gemüse und Vollkornprodukte die bessere Alternative darstellen. Das hat aber nichts mit ihrer säure- oder basenbildenden Eigenschaft zu tun sondern hängt von vielen anderen Faktoren wie dem Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen ab. Die Einteilung in sauer und basisch wurde von diversen Wunderheilern vollkommen willkürlich vorgenommen und dann allen vermeintlich ungesunden Lebensmittel in die Kategorie „säurebildend“ gesteckt. Abgesehen vom Placebo Effekt kann tatsächlich ein positiver Effekt auf Gesundheit und Wohlbefinden stattfinden, nämlich aufgrund der Nährstoffdichte einer ausgewogenen, pflanzenbasierten Kost und nicht wegen irgendwelchen basenbildenden Eigenschaften.
Mittlerweile merken sogar eingefleischte Verfechter der Säure-Basen Theorie, dass ihre Ansätze wissenschaftlich nicht haltbar sind: In ihren Ratgebern findet sich eine immer länger werdende Liste von guten Säurebildnern, also jenen Lebensmitteln, die zwar sauer sind aber trotzdem erlaubt. Dies zeigt sehr deutlich, wie lückenhaft deren Konzepte sind.
Zwar stimmt es tatsächlich, dass der Körper bei gewissen Ernährungsformen mehr saure Valenzen auscheidet als bei anderen, dies lässt jedoch noch keinen Rückschluß auf den Gesundheitszustand dieser Person zu. Besondere Skepsis ist jedenfalls geboten, wenn Websites oder Blogs die Vorzüge einer basischen Ernährung anpreisen und gleichzeitig völlig überteuerte und wirkungslose Basenpulver und Tees zum Kauf anbieten. Weiters macht es keinen Sinn, einzelne Lebensmittel pauschal zu verunglimpfen, so ist beispielsweise der Verzehr von tierischem Protein in moderaten Mengen durchaus nicht schädlich, gleiches gilt für das Brötchen aus Weißmehl am Sonntag zum Frühstück. Wie so oft gilt der Satz des Paracelsus „Nur die Dosis macht das Gift“


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Quellen und weiterführende Links:
https://www.quackwatch.org/01QuackeryRelatedTopics/DSH/coral2.html
Irmtraut Koop: Gastroenterologie compact: Alles für Klinik und Weiterbildung. Thieme, 2009

Geschäfte mit der „Übersäuerung“ durch Lebensmittel – Verbraucherzentrale Hessen klärt auf


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